Digitale Lernkarten: Ist schnell geflippt schon gelernt?

Lesen, Flippen, Lernen. Eine der bekanntesten Lernmethoden hat den Sprung in die digitale Welt geschafft: Die Lernkarten. Als schnell, effektiv und kostengünstig beworben, interessieren sich immer mehr Nutzer und Akademien für dieses Format. Für das Vokabellernen haben wir vermutlich alle schon einmal erfolgreich Karteikarten als Lernkarten verwendet. Aber wie gut eignet sich diese Methode als digitales Lernformat? Gehen wir der Sache gemeinsam auf den Grund.

Den Einsatz von Lernkarten, Karteikarten oder auch Flashcards kennt wohl jeder noch aus der eigenen Schulzeit. Das Prinzip ist so einfach wie effektiv: Vokabel, Frage oder Thematik auf die eine Seite und die Übersetzung, Antwort oder Erläuterung auf die Rückseite. Die simple Geheimformel zum Lernerfolg lautet: sehr kleine Wissenshäppchen mit häufigen Wiederholungszyklen. Und dieses Prinzip lässt sich gut weiter ausbauen.

 

Die Attraktivität von Lernkarten

Die klassische Karteikarte hilft nicht nur beim Vokabellernen, sondern kann auch vielseitig für andere Wissensbereiche eingesetzt werden. „Wann und wo startete die französische Revolution?“, „Was versteht man unter Compliance?“ oder auch „Wie schützen Sie Ihre Daten im Alltag?“. So könnten Beispiele für sinnvoll verwendete Lernkarten aussehen.

Niemand lernt große Stoffmengen vollständig und dauerhaft in einem Durchgang – didaktische Redundanzen und regelmäßige Wiederholungen sind Voraussetzung für nachhaltiges Lernen.

Verwendet man ein Karteikastensystem (nach Sebastian Leitner) wiederholt man vor allem das noch nicht beherrschte Wissen systematisch so lange, bis man alle Karten verinnerlicht hat. Das regelmäßige Mischen der Karten wirkt dabei dem ungewollten Reihenfolge-Effekt entgegen. Diese Form des selbstregulierten Lernens mit sofortigem Feedback führt zu schnellen Lernerfolgen und fördert dadurch auch die Motivation. Deshalb punktet die Lernkarte vor allem beim Lernen von Fakten- und Detailwissen sowie beim Üben von Vokabeln oder für Multiple Choice Tests. Verblüffend, was Papierkarten und ein Pappkarton alles so können.

Schreibt der Lerner seine Karten selbst, zwingt ihn die notwendige Reduktion der Themen und Inhalte auf die Größe einer Lernkarte dazu, umfangreichere Inhalte auf kurze Stichworte oder Zusammenfassungen zu verdichten. So entsteht schon beim Schreiben einer Lernkarte ein wichtiger Lerneffekt, indem der Lerner filtert, was besonders relevant ist und das Thema für sich strukturiert. Und so erarbeitet er sich gleichzeitig auch einen Überblick über den Wissensbereich – und schafft damit einen Kontext, in dem die Einzelinformationen auf den Karten für ihn ihre Bedeutung entfalten.

 

Flipcard 2.0: Die Lernkarte wird digital

Inzwischen hat die Papierkarte unserer Schulzeit den Sprung aus dem Schuhkarton in die Welt der Bits & Bytes geschafft. Zahlreiche Anbieter preisen euphorisch die zahlreichen Vorteile des Klassikers im digitalen Format.

Und die digitale Lernkarte bietet inzwischen tatsächlich mehr als Text und Bild auf der Vorder- und Rückseite einer digitalen Flipcard. Mit vergleichsweise wenig Aufwand können zahlreiche Medien, wie Audios, Videos, 3D Grafiken etc. auf digitalen Flipcards eingesetzt werden. So können nicht nur unterschiedliche Lernertypen (auditiv, visuell, kommunikativ, motorisch) angesprochen werden. Die verschiedenen Medienformate können zudem gezielt für das Erreichen unterschiedlicher Lernziele ausgewählt und eingesetzt werden.

Das sind sicherlich relevante Argumente für den Einzug der Flipcards in das Unternehmenstraining. Für die Ersteller von Flipcards bietet sich dadurch viel Raum für Kreativität, anstelle von Langeweile auf grauem Papier. Und ohne Akzeptanz beim Lerner führt kein Training zum Erfolg.

Vorteile gibt es auch im Workflow: Bei einigen Systemen können Fachexperten und sonstige Stakeholder bei der Erstellung von Flipcards einfach und flexibel mitwirken: Sie können Karten selbst erstellen und Feedbacks zu Kartenentwürfen direkt im Tool platzieren. Statt lange Textdokumente austauschen und einarbeiten zu müssen, sind die Ergebnisse für alle Beteiligten sofort sichtbar. Für die Entwickler bedeutet dies im Idealfall: die Karten können schnell visualisiert und produziert werden, bei geringem Aufwand für die Einarbeitung von Korrekturen und Feedbacks. Ihr Projektmanager wird es Ihnen danken.

Auch der Lerner spürt einen Mehrwert: Einige Systeme bieten die Funktionalität, dass die richtigen und falschen Antworten des Lerners automatisch erfasst und in festgelegten Wiederholungszyklen dem Lerner erneut vorgelegt werden können. So geht nichts verloren und der Lerner wird in seinem Lernvorgang optimal unterstützt. Bietet das System eine responsive Darstellung der Inhalte an, hat der Lerner zusätzlich den Vorteil, jederzeit auch mobil auf seinem Smartphone lernen zu können. Zeit- und ortsflexibles Lernen wie man es sich wünscht.

 

 

Die Grenzen des Alleskönners

Dann setzen wir doch am besten nur noch Lernkarten ein?

Keine gute Idee, denn wie jedes Format hat natürlich auch dieses seine Grenzen: Analoge wie auch digitale Lernkarten reduzieren komplexe Inhalte auf simple, kurze Stichpunkte. Erstellt dann ein Fachexperte oder die Trainingsabteilung die Karten und nicht der Lerner selbst, dann fehlt genau der wichtige Lernschritt, sich selbst die komplexen Inhalte zunächst zu erarbeiten und dann die Inhalte selbst zu verdichten. So läuft der Lerner Gefahr, zwar die Details zu wissen, aber die Zusammenhänge nicht erkennen zu können.

Mit den Karten allein können Fähigkeiten, die das Denken in Zusammenhängen erfordern, also nicht aufgebaut werden. Beispiel dafür wären die Abwägung von Vor- und Nachteilen oder die Analyse bzw. Bewertung von Fehlern, Gefahren oder Potenzialen. Auch geht in diesem Medium durch die Reduktion auf das Wichtigste nicht selten die Vermittlung von Zwischentönen oder Schattierungen verloren.

Gut geeignet sind Lernkarten also für die Vermittlung von Faktenwissen. Reines Lernkarten-Lernen birgt aber immer das Risiko einer zu großen Simplifizierung und des Aufbaus eines nicht ausreichend vernetzten Detailwissens.

Und weiterhin gelten beim Einsatz von verschiedenen Medienarten auf einer digitalen Lernkarte natürlich auch dieselben Regeln wie bei allen anderen Medienproduktionen: Was technisch machbar ist, ist nicht zwangsläufig auch didaktisch (lern-) zielführend und methodisch sinnvoll. Der Autor braucht mediendidaktische Kompetenzen, um die Lerner mit den verschiedenen Medien gut zu unterstützen und nicht vor allem abzulenken oder zu überfordern.

Da in diesem Lernformat die sinnvoll eingesetzten Wiederholungszyklen Voraussetzung für den dauerhaften Wissensaufbau sind, muss der Lerner auch hierbei technisch unterstützt werden. Leider bieten aber längst nicht alle digitalen Lernkartensysteme auch diese Funktion mit an.

 

Einsatz von digitalen Lernkarten: Gewusst wie!

Zusammenfassend vier Tipps für den sinnvollen Einsatz:

Tipp 1: Lernkarten für Wissenshappen
  • Nutzen Sie Lernkarten vor allem in Szenarien, in denen das Wissen in kleine, voneinander unabhängige Häppchen aufgeteilt werden kann. Typische Einsatzszenarien sind neben dem Vokabeltraining z.B. der Aufbau von umfangreichem und zugleich detailliertem Faktenwissen, bei dem es auf Vollständigkeit und Detailtreue ankommt (Bestandteile, Maße, Gewichte, Paragraphen etc.).
Tipp 2: Lernkarten im Blend
  •  Setzen Sie Lernkarten kombiniert mit anderen Lernformaten ein: z.B. verzahnt mit Präsenzseminaren. In diesem Beispiel könnte vorbereitend das Faktenwissen mit den digitalen Lernkarten aufgebaut werden, um im Seminar dann den Kontext, die Anwendung und die Vernetzung des Wissens zu erläutern bzw. zu ermöglichen. So wird gleichzeitig heterogenes Vorwissen der Lerngruppe auf einen homogenen Stand gebracht, auf den der Trainer gezielt Übungen aufsetzen kann. Auch im Nachgang zu einem Präsenzseminar, in dem Zusammenhänge vermittelt werden, kann ein Faktenlernen über Lernkarten eine gute Ergänzung sein.
  • Auch die Verzahnung mit interaktiven Web Based Trainings, Videotutorials, Trainings on the Job etc. ist überall sinnvoll, wo Lernziele über Faktenwissen hinausgehen und die USPs anderer Formate da greifen, wo die Lernkarten ihre Grenzen haben.
Tipp 3: Achten Sie auf gutes Feedback und gezielte Wiederholungen
  • Rückkopplungen sind für Lerner wichtig. Sie verbessern das Lernergebnis und fördern die Motivation. Bei Lernkarten entstehen solche Rückkopplungen einerseits durch die direkte Kopplung von Frage/Thema mit der Antwort/Erläuterung. Andererseits bieten verschiedene digitale Lernkarten auch die Möglichkeit des individuellen Feedbacks bei der Auswahl einer Antwort (jeweils bei richtiger oder falscher Auswahl). Seien Sie bei der Formulierung von Antworten / Erläuterungen präzise und auch gerne mal kreativ. Dann möchte man gleich mehr erfahren. Dies gilt auch für die Formulierung von Feedbacks. Und schaffen Sie zudem einen Raum bzw. bieten Sie eine Funktionalität an, mit der der Lerner Inhalte regelmäßig im eigenen Lerntempo wiederholen kann. So können Ihre Lerner motiviert zu ihrem Ziel kommen.
Tipp 4: Didaktisch wertvoll statt Medienzirkus
  • Behalten Sie bei aller Euphorie den didaktisch sinnvollen Aufbau ihres Lernangebots im Blick. Motivieren Sie Ihre Lerner und verwenden Sie Medienformate entsprechend ihrer spezifischen Vorzüge. Wann profitiert der Lerner von einer Animation oder einem Lernvideo? Wann gibt eine Infografik einen besseren Überblick als eine animierte Sequenz? Kann ein motivierendes Story-Element über mehrere Karten hinweg die Motivation im selbstregulierten Lernen fördern?

 

Lernkarten bergen das Potential, in passenden Szenarien nachhaltig Wissen zu vermitteln. Nehmen Sie sich die Zeit, diese zu durchdenken. Ihre Lerner werden es Ihnen danken.

 

Wenn diese Einblicke interessant für Sie sind, lesen Sie auch unseren Blog-Artikel “Alles besser mit Video-Learning? – und freuen Sie sich auf kommende Formate auf dem Prüfstand. Das nächste Mal: Virtual Reality.

 

 

Ein Kommentar zu „Digitale Lernkarten: Ist schnell geflippt schon gelernt?

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